Schleichende Invasion

Von Ralf Leonhard · · 2000/12

Mit dem als Anti-Drogenprogramm getarnten „Plan Colombia“ suchen die USA nach einer militärischen Lösung des Bürgerkriegs in Kolumbien.

Der Plan Colombia wirft seine Schatten voraus. Im Dezember sollen die ersten Militäroperationen in den Departamentos Caquetá und Putumayo gegen die Coca-Kulturen entfesselt werden. Aber schon seit September ist der Gewaltpegel in der kolumbianischen Amazonasregion in die Höhe geschnellt: Die rechten Paramilitärs versuchen der Guerilla das Terrain Dorf für Dorf streitig zu machen und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die seit Jahren das größte Coca-Anbaugebiet der Welt kontrollieren, füllen ihre Reihen durch Rekrutierungsaktionen auf und bauen ihre Arsenale aus. Ein „bewaffneter Streik“, der jeden Transport aus der und in die Region unterband, brachte die von der Versorgung abgeschnittenenen Städte den Rand des Kollaps.

Mitte Oktober erlitt die Armee bei einem Einsatz gegen die FARC im Norden Kolumbiens eine verheerende Schlappe: 53 Mann und ein Hubschrauber blieben auf der Strecke. Es handelte sich um ein Exemplar jener modernen Black Hawk Transporthelikopter, die nicht nur das österreichische Bundesheer attraktiv findet. Im Plan Colombia ist der Ankauf von mehreren Dutzend für die Bekämpfung der Drogenkulturen vorgesehen.

Der Abschuss des 15 Millionen US-Dollar teuren Stahlvogels wurde zumindest von der kritischen Presse als Signal verstanden, dass die Guerilla sich vom Aufrüstungsvorhaben der Armee im Namen der Drogenbekämpfung nicht beeindrucken lässt.

Dort, wo Guerilla und Paramilitärs (Paras) um die Kontrolle ringen, geht es nicht weniger blutig zu. Seit 1997 versuchen die rechten Todesschwadrone im Coca-Gebiet Fuß zu fassen. Im Weiler El Tigre erinnert man sich noch mit Schrecken, wie im Jänner des Vorjahres 150 Mitglieder der so genannten Autodefensas Unidas de Colombia einmarschierten, 26 Personen vor den Augen der entsetzten Bevölkerung exekutierten, weitere 14 verschleppten und deren Häuser abfackelten. Derartige Überfälle haben sich in diesem Jahr in mehreren Ansiedlungen, die als Guerilla-freundlich gelten, wiederholt.

Meist lassen sich die Paras von einem maskierten Informanten begleiten, der die Todeskandidaten denunziert. Auch die Guerilla wird zunehmend brutaler und erschießt vermeintliche Kollaborateure der Paramilitärs. Zuletzt wurde sogar ein Verletzter aus einem Ambulanzwagen gezerrt und ermordet. Nach einem ähnlichen Übergriff der Paras kündigte das Rote Kreuz seinen Rückzug aus dem Kriegsgebiet an.

Putumayo, eine Amazonasprovinz knapp größer als Niederösterreich, ist das Zentrum der Kokainproduktion. Aus einem verschlafenen Urwalddepartement, wo wenige zehntausend Siedler, neun indianische Gruppen und ein paar Missionare lebten, ist in den letzten Jahren ein blutiges Schlachtfeld geworden. Nach jüngster Schätzung wird dort auf 56.800 Hektar Coca angebaut. Das ist rund die Hälfte der gesamten in Kolumbien mit dem verbotenen Strauch bepflanzten Fläche.

Welche Ausmaße das Vordringen der Drogenproduktion in die Tropenwälder angenommen hat, zeigen die von der Regierung erwarteten Flüchtlingszahlen: Von den 332.000 BewohnerInnen des Departements Putumayo gelten 209.000 als potentielle Flüchtlinge. Also Leute, die von den Aktionen des Plan Colombia unmittelbar betroffen werden.

Der Plan sieht vor, dass in nur zwei Jahren die Anbaufläche von Coca und Schlafmohn (für die Heroinproduktion) in Kolumbien auf die Hälfte der derzeitigen Ausmaße gedrosselt wird. Das kann über freiwilligen Ausstieg gehen, wenn Bäuerinnen und Bauern sich überzeugen lassen, auf legale Produkte umzusatteln und die Sträucher selbst ausreissen, oder über Zwangseradikation mit chemischen Entlaubungsmitteln.

Alle bisherigen Versuche, die Coca-Bauern zum Umsatteln auf alternative Produkte zu bewegen, scheiterten an der mangelnden Ernsthaftigkeit. Ohne sichere Märkte und ausreichend Kredite konnten die wenigsten ökonomisch überleben. Die Skepsis der Zielgruppe eilt den wohlmeinenden BeraterInnen des Landwirtschaftsministeriums voraus. Die Sprühaktionen haben schon bisher die Gewalt eskalieren lassen. Das giftige Glyphosat vernichtet nicht nur die Coca-Stauden sondern auch den Subsistenzanbau der Familien: Bananen, Yuca, Gemüse, selbst Kleinvieh.

Auch der Einsatz einer biologischen Geheimwaffe, eines Pilzes namens fusarium oxysporum, der schon in Peru Tausende Hektar Coca vernichtet hat, birgt nach Ansicht von Ökologen unabsehbare Umweltgefahren und wird auch vom kolumbianischen Umweltministerium vehement abgelehnt.

Damit die kleinen Sprühflugzeuge gefahrlos ausschwärmen können, muss die Umgebung zuerst von irregulären Truppen gesäubert werden. Ein Großteil der Coca-Kulturen wird von den FARC geschützt, die durch die „Besteuerung“ des Kokainhandels jährlich eine halbe Milliarde Dollar lukrieren sollen. Ein kleinerer, aber wachsender Teil steht sich unter der Kontrolle der Paramilitärs. Daher die starke militärische Komponente des Plan Colombia: Bodentruppen der kolumbianischen Armee, die in den neuen Transporthubschraubern eingeflogen werden, müssen das Gelände sichern. Da die Guerilla angekündigt hat, sie werde nicht freiwillig weichen, sind Gefechte unvermeidlich. Der Anti-Drogenplan wird automatisch zu einem Anti-Guerillaplan. Denn die Paramilitärs werden von der Armee mehr als nur geduldet, wie zahllose Massaker unter den Augen der Bataillonskommandanten belegen.

Amnesty International stützte sich in einem vehementen Plädoyer gegen den Plan Colombia in seiner gegenwärtigen Form auf offizielle Quellen der US-Regierung: „AI ist besorgt, dass paramilitärische Organisationen als Teil der im Plan Colombia dargelegten militärischen Strategie dienen sollen. Obwohl ihnen keine formale Rolle zugedacht ist, kann ihre jüngst aufgebaute Präsenz in Schlüsselzonen der zukünftigen Militäroperationen nicht als Zufall betrachtet werden. Die paramilitärische Strategie der Attacke und Liquidierung ziviler und Basisorganisationen soll organisierten Widerstand gegen die militärische Eradikation illegaler Kulturen vorbeugend aus dem Wege schaffen.“

Dieses Unbehagen wird von den PolitikerInnen der Europäischen Union geteilt. Bei einer Geberkonferenz im Juli verpflichteten sich die Europäer zu Beiträgen von nur 120 Millionen US-Dollar gegenüber den zwei Milliarden nichtmiliärischer Hilfe, die die Autoren des Plan Colombia ihnen als zu leistenden Beitrag zugedacht hatten.

Nachdem sich 38 Hilfswerke, darunter das Rote Kreuz, geweigert hatten, Gelder aus dem Plan Colombia für humanitäre Aktionen anzunehmen, beschloss die EU Ende Oktober, ihren Beitrag auf 250 Millionen Dollar zu verdoppeln. Allerdings sollen die Mittel nicht über die Regierung in Bogotá in den Topf des Plan Colombia fließen, sondern direkt zu Non-Profit-Organisationen kanalisiert werden. Die Europäer kritisierten die starke militärische Komponente des Pakets.

In Europa fürchtet man, der fragile Friedensdialog zwischen Regierung und FARC könnte durch die Aufrüstung endgültig torpediert werden. Zumal Kolumbien-Kenner darauf hinweisen, dass das Ausufern von Drogenhandel und Guerillatätigkeit die Konsequenz fehlender staatlicher Präsenz in den ländlichen Gebieten ist, nicht umgekehrt. Die Versäumnisse an ziviler Aktion durch militärische Aktion wettzumachen, sei nicht der richtige Weg.

Dass Kolumbiens Nachbarn über die Aufrüstung und die bereits einsetzenden Flüchtlingswellen besorgt sind, schlug sich in einer äußerst lauen Erklärung bei einem Gipfeltreffen im August nieder. Erst nachdem Präsident Andrés Pastrana versichert hatte, dass es zu keiner Intervention der USA in Kolumbien kommen würde, unterschrieben die Kollegen aus Brasilien, Ecuador, Peru und Venezuela.

Die Intervention hat indessen längst begonnen. Seit mehr als einem Jahr bereiten ein Infanterie- und ein Luftwaffengeneral der US-Army, die direkt General Peter Pace, dem Kommandanten des US-Südkommandos unterstellt sind, die Militäraktionen vor. Über 200 „Berater“ – ihre Zahl soll auf insgesamt 800 steigen – sind unermüdlich am Werk, die militärisch wenig erfolgreiche Armee Kolumbiens in eine schlagkräftige Truppe zu verwandeln. Das erste von US-Militärs ausgebildete Anti-Drogen-Bataillon wurde Ende Oktober in den Putumayo geflogen.

Nicht nur wegen der unverkennbaren Parallelen der schleichenden Intervention warnen in den USA viele KritikerInnen vor einem zweiten Vietnam. So wie Präsident John F. Kennedys frühes Engagment in Indochina auf den Schreibtischen wenig ortskundiger Strategen vorbereitet worden war, sei Plan Colombia von Leuten geschrieben worden, die weder die Geographie noch die Geschichte Kolumbiens ausreichend kennen, wetterte der Kolumnist und Buchautor Tad Szulc.

Auch der Rechnungshof in Washington ist nicht glücklich. Auf Grund der Erfahrung mit dem Scheitern früherer Drogenbekämpfungspläne zerpflückte er in einem im Oktober veröffentlichten Bericht (GAO-01-26) das Konzept und die Vorbereitung von Plan Colombia: „Die gesamten Kosten und Aktivitäten für die Erfüllung des Planziels sind unbekannt und es wird Jahre dauern, bis die Drogenaktivität spürbar reduziert wird.“

Erste Pannen rechtfertigen diese Skepsis. So wurden die ersten Black Hawk Hubschrauber für je eine halbe Million Dollar für die Anbringung eines Gau-19 Maschinengewehrs adaptiert, bevor sich herausstellte, dass die schwere Waffe den Helikopter fast manövrierunfähig macht und zum Absturz bringen kann.

Ganz andere Bedenken hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mit Sitz in Washington. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Klausel, mit der Präsident Clinton im August „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ jene Bedingungen außer Kraft setzte, die der Kongress an die Billigung des Anti-Drogen-Plans geknüpft hat. Es handelt sich um Menschenrechtsauflagen in Zusammenhang mit den Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs. HRW-Direktor José Miguel Vivanco fürchtet, dass die Armee jetzt noch weniger Rücksicht auf Menschenrechte nimmt: „Ihre Verbindungen zu den paramilitärischen Truppen sind enger denn je.“

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