Der von den USA propagierte „Krieg gegen die Drogen“ schafft mehr Übel als er beseitigt, sagen KritikerInnen – und haben wahrscheinlich recht. Aber manches spricht dafür, dass er gerade deswegen geführt wird.
Angesichts der trockenen Fakten eine schwierige Aufgabe, denn bisher hat sich die Wirklichkeit den Wünschen der Anti-Drogen-Krieger beharrlich widersetzt: Weltweit nimmt der Konsum illegaler Drogen eher zu denn ab, die Produktion von Rohopium erreichte 1999 einen Rekordwert (rund fünfmal mehr als noch Anfang der 60er-Jahre), und selbst bei Kokain räumt die UNO ein, dass sich die Produktion trotz jahrelanger Eradikationsprogramme in den Andenländern gegenüber 1987 fast verdreifacht hat und bestenfalls stagniert (siehe Grafiken).
Das „Paradies ohne Apfel“ ist ein Luftschloss geblieben, wie zu erwarten war. Denn Angebotskämpfung kann keinen dauerhaften Erfolg zeitigen, solange es Anreize gibt, in Produktion und Handel einzusteigen, und die sind unter Bedingung der Prohibition und der resultierenden hohen Gewinnspannen besonders stark – gleich, ob es sich um natürliche Substanzen, deren Derivate oder synthetische Drogen handelt. Und dass die Nachfrage nach legalen und illegalen Drogen ausrottbar wäre, glaubt auch kein Drogenkrieger – denn wozu sonst das Angebot eliminieren?
Nun könnte eingewendet werden, dass Prohibition und Strafverfolgung das „Drogenproblem“ zwar genauso wenig „lösen“ wie dies bei einem politisch undenkbaren Verbot von Alkohol und Nikotin der Fall wäre, aber das Ausmaß des Konsums verbotener Drogen immerhin reduzieren. Das war zweifellos auch während der Alkoholprohibition in den 20er und 30er-Jahren in den USA der Fall, und wer die offizielle Auffassung teilt, dass jeder Gebrauch auch gleich einen Missbrauch und eine Schädigung der Gesellschaft darstellt, wird hier wohl zustimmen müssen. Was aber wie damals zunehmend in Frage gestellt wird, ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis.
„Wir glauben, dass der weltweite Krieg gegen Drogen derzeit mehr Schaden anrichtet als der Drogenmissbrauch selbst… Die Fortsetzung unserer aktuellen Politik wird nur zu mehr Drogenmissbrauch, mehr Macht für Drogenmärkte und Kriminelle, mehr Krankheit und Leid führen“, hieß es etwa in einer zweiseitigen Anzeige in der New York Times am Tag der Eröffnung des UN-Drogengipfels. Zu den 500 prominenten UnterzeichnerInnen aus der ganzen Welt gehörten u.a. Ex-US-Außenminister George Schultz, zwei frühere US-Justizminister, ein früherer US-Gesundheitsminister, einige Nobelpreisträger, US-Bundesrichter, frühere Staatschefs von Bolivien, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala und Nicaragua, Ex-UN-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar, sowie katholische, evangelische und anglikanische Bischöfe – „eine Art Randgruppe“, wie sie der aktuelle oberste Drogenbekämpfer der USA, Ex-General Barry McCaffrey, zu diskreditieren versuchte.
Mehr Schaden durch die Bekämpfung als durch den Drogenmißbrauch selbst: Es gibt gute Gründe für diese Einschätzung, und die öffentliche Kritik an der aktuellen Politik kann nicht breit genug geäußert werden.Andererseits greift sie aber zu kurz, denn sie misst den Erfolg der Drogenstrategie bloß an ihren öffentlich genannten Zielen. Tatsächlich pflegen die USA, die federführende Kraft im Anti-Drogenkampf, dazu jedoch seit jeher ein bemerkenswert flexibles Verhältnis – jedenfalls in ihrer Außenpolitik.
Der Anti-Drogen-Krieg repräsentiert lediglich ein untergeordnetes Ziel, das mit vorhersagbarer Gewissheit geopfert wird, wenn ihm geostrategische Interessen entgegenstehen: das Ziel der Durchsetzung bzw. Aufrechterhaltung der Hegemonie der USA und des von ihr vertretenen Systems. Und in diesem Kontext kann die Drogenpolitik durchaus rational sein, obwohl oder sogar gerade wenn sie scheitert.
Anzeichen dafür sind allenthalben zu erkennen. Ein aktuelles Beispiel liefert der „Plan Colombia“ (siehe Artikel auf Seite 27). Der US-Regierung ist seit Jahren bekannt, dass die Paramilitärs, die weitgehend mit der kolumbianischen Armee kooperieren und die „schmutzige Arbeit“ bei der Guerrillabekämpfung übernehmen, sich durch Kokain finanzieren, und die Kokain-Ökonomie auch bis weit in die Armee hineinreicht. Die Weltöffentlichkeit glauben zu machen, eine Allianz mit solchen Bündnispartnern könnte, wenn auch erst in „einigen Jahren“, wie es jetzt heißt, zur Eliminierung des Kokaanbaus führen, wäre ein erstaunlicher Propagandaerfolg der USA. Es ist offensichtlich, dass die Gewinne aus dem Kokaingeschäft aus Sicht der USA bloß in die falschen Hände geraten.
Oder die Affäre um den ehemals starken Mann von Peru, Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos. Offiziell in die Umsetzung der Anti-Koka-Politik Perus eingebunden, die von den USA und vom UNDCP unisono als Erfolg verkauft wird, dürfte Montesinos, auch „Noriega der Anden“ genannt, tatsächlich mit Drogenhändlern kooperiert haben. Anders lassen sich die 48 Millionen US-Dollar auf den Ende Oktober gesperrten Schweizer Konten kaum erklären. Montesinos war seit 30 Jahren „ein Liebkind der CIA“, zitierte die peruanische La República im Jänner den pensionierten peruanischen General Alberto Arciniega Huby. Seine Prophezeiung: „Wenn sie ihn (Montesinos; Anm.) nicht mehr brauchen, ist klar, was mit ihm geschehen wird. Denn die USA mögen Montesinos nicht. Sie verwenden ihn, weil er ihrer Politik nützt.“ Das ist offenbar nicht mehr der Fall, weshalb den Schweizer Behörden auch signalisiert wurde, die Konten aufzudecken. Montesinos, nunmehr quasi vogelfrei, soll sich nach seiner Rückkehr vom Kurzexil in Panama nach Peru und zuletzt nach Bolivien abgesetzt haben.
Die Verwicklung der USA bzw. ihres Auslandsgeheimdienstes CIA in den Drogenhandel geht jedoch weit über das aus dem Kalten Krieg bekannte Prinzip – „ein Schweinhund, aber unser Schweinhund“ – hinaus. Eine inoffizielle Geschichte der CIA zeigt eine konsequente Instrumentalisierung des Drogenhandels zur Verfolgung politischer Ziele: ob in Marseille, wo nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiederaufbau der korsischen Mafia toleriert wurde, um der Kommunistischen Partei die Kontrolle über die Gewerkschaften zu entreissen, mit dem Resultat der „French Connection“, des Heroinschmuggels in die USA in Kooperation mit der US-Mafia; oder in Indochina in den sechziger Jahren, wo sich Hmong-Rebellengeneral Vang Pao gegen den kommunistischen Pathet Lao mit Drogengeldern finanzierte. CIA-eigene Luftlinien flogen das Opium aus den Anbaugebieten im Goldenen Dreieck zwischen Laos, Thailand und Myanmar. Ebenso wurde der Kokainschmuggel in die USA zur Finanzierung des Contra-Kriegs gegen die Sandinisten in Nicaragua von der CIA nachweislich toleriert, wenn nicht sogar mitorganisiert.
Die Eskalation des Schlafmohnanbaus in Afghanistan und Pakistan während des Kriegs der Mujahedin gegen die sowjetische Besatzung lag im Interesse Washingtons, und bei der Kosovo-Intervention waren die engen Verbindungen der UCK zu albanischen Heroinschmugglern kein Hindernis.
Wie es Noam Chomsky vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) kurz formulierte: „Das Nahverhältnis zwischen dem Drogengeschäft und dem internationalen Terrorismus (manchmal auch „Aufstandsbekämpfung“ oder „Kriegsführung niedriger Intensität“ genannt) ist nicht überraschend. Geheime Operationen kosten viel Geld, das nicht aufspürbar sein sollte. Und man braucht auch kriminelle Mitarbeiter. Der Rest ergibt sich.“
Etwa die langjährige Involvierung der CIA in die Bank of Credit and Commerce International (BCCI), Gegenstand des 1991 aufgeflogenen größten Bankenskandals der Nachkriegsgeschichte. Nicht nur wurde die u.a. mit dem Waschen von Drogengeldern und illegalen Waffengeschäften befasste BCCI von der CIA etwa im Iran-Contra-Waffendeal genutzt und jahrelang gedeckt, wie aus einem Bericht eines US-Senatsausschusses von 1992 geschlossen werden kann. Zum BCCI-Vorstand gehörten die beiden Hauptkontakte der CIA zum saudi-arabischen Geheimdienst, und im Vorstand der über Strohmänner von der BCCI übernommenen First American Bank in Washington saß mit Clark Clifford sogar ein ehemaliger US-Verteidigungsminister. Seine Aussage, nichts von krummen Geschäften der BCCI gewusst zu haben, hielt der Senatsausschuss für eine glatte Lüge.
Wieso war es etwa möglich, dass nach der US-Invasion in Panama, die zur Verurteilung des Ex-Staatschefs Manuel Noriega wegen Drogenhandels führte, der Drogenhandel über Panama sogar zunahm? Wieso erweist es sich als dermaßen schwierig, etwa unter britischer Oberhoheit stehende Offshore-Finanzzentren auf den Cayman Islands oder den Turks and Caicos Islands mit ihren zahllosen Briefkastenfirmen einer Kontrolle zu unterwerfen? Eine nahe liegende Hypothese: Die vorgeblich unerwünschten Aktivitäten sind dermaßen mit verdeckten Operationen und Geschäften respektabler Unternehmen und Banken aus der ganzen Welt verfilzt, dass das eine nicht bekämpft werden kann, ohne das andere zu gefährden.
Beispielsweise eignen sich transnationale Unternehmen nicht nur perfekt als Drogentransportkanäle, sondern stellen sich auch als Fassade für Geheimdienstoperationen zur Verfügung und werden dafür mit fetten Regierungsaufträgen bedacht. Einer dieser Multis, ein weltweit tätiger US-Sicherheitskonzern mit ausgezeichneten Kontakten zu Washington, ist übrigens auch ein bedeutender Betreiber von privaten Gefängnissen in den USA und profitiert direkt von der Drogenprohibition, die diesen Geschäftszweig durch die Inhaftierung Hunderttausender Drogenkonsumenten erst ins Leben gerufen hat. „Eisenhower warnte uns vor dem militärisch-industriellen Komplex“, aber „ebenso existiert ein Drogenkomplex“, konstatierte Joseph McNamara, ehemaliger Polizeichef in Kansas City und San Jose, in einem Interview mit der Internet-Gazette des Washingtoner Drug Reform Coordination Network.
Das fehlende Glied zur Versöhnung des Widerspruchs zwischen dem fortgesetzten „Krieg gegen die Drogen“ und seinem offensichtlichen Scheitern scheint gerade das vermeintlich Irrationale zu sein: Die Drogenprohibition und ihre weltweite Durchsetzung. Sie ist einerseits ein probates Mittel, um den Rest der Welt politisch unter Druck zu setzen; andererseits sorgt sie für einen anzapfbaren Cashflow für die CIA und ihre Partner, der die Abwicklung verdeckter Operationen ermöglicht.
Und sie liefert – weltweit – die Legitimation für eine Einschränkung von Bürgerrechten zugunsten einer Exekutive, die dem organisierten Verbrechen das Handwerk legen soll, aber letzlich in erster Linie ihre eigene Macht vergrößert.
Die Strategie dahinter hat Erwin Weissel, emeritierter Wirtschaftsprofessor der Wiener Universität, in der Zeitschrift Zoom (3/98) folgendermaßen charakterisiert: „Bei der Wahl seiner Feinde kann man nicht sorgfältig genug sein, meinte Oscar Wilde. Die Warnung des großen Spötters müssen vor allem diejenigen beherzigen, die den Feind dazu brauchen, mehr Ressourcen und Befugnisse zu erlangen, denn sie sind ja dabei auf seine fortdauernde Existenz angewiesen. Der Feind muss so gefährlich sein oder scheinen, dass das Volk als Souverän etliche seiner Rechte an den abtritt, der ihn bekämpft, aber nicht so gefährlich, dass der Kampf aussichtslos erscheint und der Feind letztlich den Staatsapparat zerstört, um ihn durch seinen eigenen Machtapparat zu ersetzen. Kurzum, die Politiker und ihre Bürokraten brauchen einen Feind, mit dem sie sich arrangieren können, ohne dass das Volk etwas davon merkt.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.
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