Im Bundesstaat Kerala liegt das Zentrum der indischen Kokosfaser-Erzeugung. Neues Design- und Qualitätsbewusstsein sollen im Ausland die Nachfrage nach der Kokosfaser wieder beleben.
Die meisten Unternehmen kommen dabei aus dem südindischen Bundesstaat Kerala, das übersetzt so viel heißt wie „Land der Kokosnüsse“: Und wer einmal mit dem Zug von Bangalore im Norden nach Trivandrum in den Süden gereist ist, der weiß auch wieso. Stundenlang gleitet der Malabar-Express an schier endlosen Kokoshainen vorbei, die den flachen Landstreifen zwischen der Pfefferküste, wo 1498 Vasco da Gama landete, und den Cardamom Hills im Hinterland bedecken.
Schlank und elegant wächst die Kokospalme in die Höhe, an deren Spitze ein Schopf von meterlangen Blättern im Wind wedelt. Die unverzweigte Palme, Inbegriff aller Tropenklischees, kann bis zu 30 Meter hoch werden und manches Exemplar wird weit über 100 Jahre alt.
Eine solche Palme erzeugt in ihrem langen Leben bis zu 8.000 ausgewachsene Kokosnüsse. Das ist eine grandiose „Produktionsleistung“, reifen doch ganzjährig fruchtend zwischen 50 bis 80 Kokosnüsse pro Jahr und Palme heran. Dabei gibt der Baum, der eine mittlere Temperatur von 27 Grad und bis zu 2000 Millimeter Niederschlag braucht, im Alter von zwölf bis 40 Jahren die besten Ernten. Allerdings lässt man die Kokospalme in den Plantagen häufig nur 30 Jahre lang wachsen, weil sonst das Pflücken in luftiger Höhe zu mühsam wird.
Ohne Zweifel, was die Weltwirtschaft betrifft, zählt die Kokospalme zu den wichtigsten Pflanzen überhaupt. Und sie gehört zu denjenigen nachwachsenden Ressourcen, die sowohl für den Non-Food-Bereich (Faser, Holz, Flechtwerk) als auch den Food-Bereich (Speiseöle, Industriefette) wertvolle Rohstoffe liefert.
So ist es auch kein Wunder, dass der komplett verwertbare Baum im Bundesstaat Kerala der größte „Arbeitgeber“ ist. Dort leben mehr als drei Millionen Menschen direkt bzw. indirekt von der Kokospalme. Und: Weltweit gibt es rund 10 Mio. Menschen, die dank der Vielseitigkeit der Kokosnuss im Kokosbusiness beschäftigt sind.
Nicht umsonst gibt es das indische Sprichwort, dass die Kokospalme so viele Nutzungsmöglichkeiten hat wie das Jahr Tage.
Der Baum wird sprichwörtlich mit „Haut und Haaren“ verwertet: Während man aus dem Inneren der Nuss Speiseöl gewinnt, nutzt man das Äußere, die weiche Ummantelung, für die Produktion kurzer Fasern. Dabei dienen die Pressrückstände bei der Speiseölgewinnung als energiereiches Viehfutter, während man die harte Schale zu Holzkohle weiterverarbeitet.
Darüber hinaus benutzen die indischen Bauern die Palmblätter für ihre Hausdächer und schließlich wandern die Stämme in die Bau- und Möbelindustrie.
Zu guter Letzt gehört das Fruchtwasser junger Kokosnüsse zu den populärsten und gesündesten Getränken überhaupt. Diese Erfrischung wird an vielen Straßen Keralas von kleinen Händlern angeboten, die die Nuss mit einer Machete gekonnt öffnen. Auch geraspeltes Fruchtfleisch, das Kopra, darf in keinem südindischen Curry-Gericht fehlen.
Ganz abgesehen von der großen religiösen Bedeutung dieser Frucht, die in hinduistischen Tempeln als Göttergabe gereicht wird..
Kerala ist traditionell das Zentrum der Kokosfaser-Produktion in Indien. Besonders in der Region der Backwaters, zum Arabischen Meer hin offene Binnenseen, zwischen den Städten Alleppey und Cochin, befinden sich die meisten faserverarbeitenden Betriebe. Im ganzen Bundesstaat zählt man rund 5.000 Spinnereien und Webereien, in denen die goldene Faser zu Garn versponnen und verwoben wird.
Mehr als 330.000 Tonnen Kokosfasern verarbeitet man in den Manufakturen zu den verschiedensten Teppichen und Matten, ob nun im „ribbed“, „herringbone“ oder „panama design“.
Ein Teil der Produkte geht in den Export. Schenkt man den aktuellen Zahlen des behäbig agierenden Coir Boards in Cochin Glauben, dann sollen im vergangenen Jahr über 40.000 Tonnen ausgeführt worden sein.
Kokosfaser wird zwar reichlich produziert. Doch ist die Nachfrage nach dieser tropischen Naturfaser in den letzten Jahren dramatisch gesunken – sowohl in den USA als auch in Europa -, weshalb die Lager randvoll mit Kokos-Fertigprodukten sind.
„Wenig Bestellungen“, meldet T.R.P. Chandran, der bei der staatlichen Fomil in Alleppey die kaufmännische Abteilung leitet.
So warten dicke Rollen mit einer geschäumten Gummibeschichtung auf dem Teppichrücken auf den Transport nach Frankreich, Deutschland, USA, Israel, Spanien, Griechenland und Holland.
Wenngleich Fomil zu den größeren Produzenten gehört, ist es von der Webtechnik und von der gesamten technischen Ausstattung nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die Weber betätigen alle Webstühle noch manuell. Fünf Männer arbeiten synchron auf einem der gewaltigen, 4,25 Meter breiten Webstühle, die das Kokosgarn verweben. Die Arbeiter stehen nebeneinander auf einer Arbeitsbühne und bewegen mit Pedalkraft die komplizierten Webstühle.
Allerdings soll in diesem Betrieb bald die Ära der Automatisierung anbrechen: Die Baustelle hinter der Fabrik verrät, dass „powerlooms“, vollautomatische Webmaschinen aus Belgien, in Kürze installiert werden sollen. „Die Maschine kann 24 Stunden laufen und liefert noch bessere Qualität als Handarbeit“, freut sich Chandran auf die Zukunft, in der dann die jährliche Produktionsmenge von 240 Tonnen sicherlich überboten wird. Ob Fomil dafür auch genug AbnehmerInnen findet, steht jedoch in den Sternen.
Nur unweit von Fomil entfernt, vorbei an Flüssen, Kanälen und Kokoshainen, achtet man schon heute mehr auf Qualität. Rot-, grün- und schwarz gefärbtes Kokosgarn liegt zum Trocknen ausgebreitet im Innenhof der Firma Kerala Balers. „Wir müssen ständig etwas verbessern“, sagt Geschäftsführer R.E. Mendez beim Betriebsrundgang, „akzeptiert doch der Weltmarkt inzwischen nur noch gute Ware.“
„Die Europäer sprechen so viel über nachhaltiges Wirtschaften, über Ökologie und nachwachsende Rohstoffe“, moniert Santos Prasad von der Karan Group „andererseits fragen sie immer weniger Kokosware nach und greifen zu synthetischen Fasern. Wie passt das zusammen?“
Dierk Jensen ist freier Journalist und gehört der Foto-Text-Agentur „agenda“ in Hamburg an.
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